Wolter, Christine - Das HerzChristine Wolter
Das Herz, diese rastlose Zuneigungs- und Abneigungsmaschine
Roman einer deutschen Trennung.
Mit einer Umschlagzeichnung von Dieter Goltzsche.
228 Seiten, gebunden (Pappband mit Fadenheftung und Schutzumschlag), 19,00 Euro.
ISBN 978 3 93110925 7

Selbstanzeige der Autorin: Eine deutsche Liebesgeschichte zwischen 1930 und 1990. Am Anfang: der Bahnhof Berlin-Friedrichstraße, Sinnbild von Abriss, Umbau, Grenze und Übergang. An einem Septembertag des Jahres 1930 erblickt da ein Reisender aus dem Coupéfenster eine schmale weibliche Gestalt. Der Mann, auf dem Gipfel seiner Karriere, ist ein erfolgreicher Architekt der Moderne, dem Lebensgenuss verschrieben; das Mädchen, das ihm plötzlich im Abteil gegenübersitzt, eine Pfarrerstochter aus Sachsen.
Die Reise führt beide nach Ostpreußen und wird der Anfang einer Liebe, die in den kommenden finsteren Jahren standhält. Königsberg, Halle und schließlich wieder Berlin sind ihre Schauplätze. Im Nachkriegs-Berlin schafft der Architekt eine neue und letzte Karriere als Miterbauer der Stalinallee, der ersten sozialistischen Straße der DDR; die neue Zeit verspricht Glück — und ist doch die Zeit der Trennung und der Teilung. Durch Berlin streifend, entdeckt die Erzählerin Spuren ihrer Geschichte und versucht eine späte Klärung. Was den zu langen Titel betrifft: dieses Wort hat ein berühmter Philosoph eben in dem Augenblick ausgesprochen, als sich diese beiden Menschen zum ersten Mal gegenübersaßen.

Man muß umgehen können mit der Welt wie sie ist, mit den Männern der neuen provisorischen Ordnung. Republik und demokratisch, sagt Carola und lacht wieder, und wieder ist das falsch, denn sie sieht, wie Hanns sich ärgert; demokratisch: ja, nachdem die Gegenstimmen nicht mitgezählt wurden, ich weiß es, meine ist nicht gezählt worden, genau wie damals, wieder ein März, nach sechzehn Jahren. Dieser letzte Satz ärgert Hanns am meisten. Diese Vergleiche. Carola umarmt ihn. Ärgere dich nicht, Liebster, ich weiß, du ärgerst Dich, weil ich recht habe, weil ich die Wahrheit sage, Hassemin. Saturn der Zweifler. Sein Prinzip ist der Widerstand. Rückwärtsgewandt, negierend.
Allein, abends, stopft Saturn Kinderstrümpfe …

Christine Wolter, geboren am 30. März 1939 in Königsberg, aufgewachsen seit 1950 in Berlin Ost, lebt seit 1978 in Mailand und jetzt auch wieder in Berlin. Erzählerin, Übersetzerin (u. a. Leonardo Sciascia, Alberto Savinio) und Herausgeberin (u. a. Lyrik von Giuseppe Ungaretti). Mitarbeiterin der Neuen Zürcher Zeitung. Eigene literarische Arbeiten seit den 1970er Jahren. Zum DDR-„Kultbuch“ wurde der Roman Die Alleinseglerin (1982 bei Aufbau) – vordergründig (und so von der DEFA verfilmt) eine ironische Fabel aus dem DDR-Alltag, vielmehr jedoch ein Bekenntnis gegen jeden Dogmatismus.