Tibor Déry
Niki oder Die Geschichte eines Hundes
und
Liebe oder „Fragen Sie nicht so viel“
Erzählungen.
Aus dem Ungarischen von Ivan Nagel.
112 Seiten, engl. Broschur, Fadenheftung, 13,40 Euro.
2. erweiterte Auflage 2015
ISBN 978 3 931109 67 7
Die Geschichte eines Hundes, mit dessen liebevoll beschriebenem Schicksal sich ein Stück Lebensgeschichte der Besitzer verknüpft, und die Skizze Liebe sind zugleich Parabeln des politischen Geisteszustands in Ungarn zwischen 1948 und 1953. Sie wurden in Budapest im Sommer 1956 veröffentlicht, wenige Monate vor Ausbruch des Volksaufstands. Als 1957/1958 die erste deutsche Ausgabe vorbereitet wurde, war der Autor als intellektueller und moralischer Wortführer des Aufstands verurteilt und im Gefängnis. Der Übersetzer Ivan Nagel und der Verlag wurden von einem ungewöhnlichen Risiko angetrieben: Es ging nicht allein um literarische Meisterwerke, sondern möglicherweise um das Leben ihres Verfassers. Aber mit welchen Dienstleistungen sollte sich wohl ein junger, gänzlich überflüssiger Foxterrier Gnade erkaufen im kriegsverwüsteten Ungarn von 1948? Hilfe hätte er sich nur von der Barmherzigkeit erbetteln können; diese aber war im zerstörten Lande selber beschädigt und geschwächt.
Am meisten wurde Frau Ancsa dabei von der Stummheit des Tieres gepeinigt. Es weinte nicht, gab keine frechen Antworten, es sträubte sich nicht, forderte keine Erklärung, es ließ sich nicht überzeugen: schweigend unterwarf es sich seinem Geschick. Diese Stummheit, die dem endgültigen Verstummen eines an Leib und Seele gebrochenen Sträflings glich, wirkte auf Frau Ancsa wie der donnernde Protest des Daseins selbst.
Tibor Déry, geboren am 18. Oktober 1894 in Budapest, gestorben am 18. August 1977 ebenda, stammte aus dem jüdischen Bürgertum Budapests, war 1918 Parteigänger der Räterepublik und lebte seit 1919 im Exil in Österreich, Frankreich und Deutschland. 1934 kehrte er ins Horthy-Ungarn zurück. In der Zeit bis zum Krieg entstand sein großes Werk Der unvollendete Satz, das er erst 1947 veröffentlichen konnte. 1953 wurde Déry im Zuge der antisemitischen „Säuberung“ der ungarischen Literatur aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen; 1956 war er einer der Wortführer des Aufstands und wurde deshalb 1957 zu neun Jahren Haft verurteilt, jedoch 1960 freigelassen.
Mit seiner literarischen Autobiographie Kein Urteil (1969) und seiner satirisch-melancholischen Kleinen Prosa wurde Déry in den späten sechziger Jahren zum kritischen Chronisten der bleiernen Verhältnisse — schließlich auch in Ungarn gedruckt und anerkannt als „größter Menschendarsteller seiner Zeit“ (Georg Lukács).