Lindau, Paul - Nüchterne Briefe aus BayreuthPaul Lindau
Nüchterne Briefe aus Bayreuth
Vergeblicher Versuch im Jahre 1876, Zeit und Geister Richard Wagners zu bannen.
Kommentiert von Hellmut Kotschenreuther.
Mit zeitgenössischen Karikaturen und Abbildungen.
96 Seiten, engl. Broschur, 9,00 Euro.
ISBN 978 3 92181083 5

Paul Lindaus Korrespondenzen aus Bayreuth 1876 in der Breslauer Schlesischen Presse — anlässlich der Einweihung des Festspielhauses mit der Premiere von Ring des Nibelungen.
Die Nüchternen Briefe wurden eine Lieblingslektüre des spottlustigen Berliner (Musik-)Publikums, was der verbreiteten Wagner-Begeisterung durchaus keinen Abbruch tat — denn Lindau war kein Wagner-Fresser (wie sein Wiener Zeitgenosse Daniel Spitzer), aber er moquierte sich mit Witz über die „ridiculen Seiten“ (Theodor Fontane) des „Meisters“. Außerdem war Paul Lindau, der Herausgeber der maßgeblichen intellektuellen Zeitschrift der Zeit Die Gegenwart, eine anerkannte Kritik-Größe. Sein ironisches Zeitbild blieb jedenfalls bis heute ein Geheimtip als einer der amüsantesten Beiträge zur Rezeptionsgeschichte Wagners und des Rings.
Unserer Neuausgabe sind viele wenig bekannte zeitgenössische Karikaturen beigegeben.

Daß sich auch die Industrie des Wagnerkultes bemächtigen würde, war vorauszusehen. Ich habe meine Garderobe bereits durch Ankauf einer Nibelungenmütze und einer Wagnerkrawatte bereichert. Die Nibelungenmütze zeichnet sich nur durch ihre geschmacklose Form aus; die Wagnerkrawatte unterscheidet sich von anderen Krawatten auf den ersten Blick durch gar nichts, nimmt man aber diese Krawatte liebevoll in die Hand und besieht sie sich genauer, so bemerkt man unter dem Stege, welcher den Zipfel festhält, eine schwarzseidene Schnur; zieht man an dieser Schnur, so öffnet sich die Krawatte, das Mittelstück schlägt sich auf, und man erblickt in der Mitte, medaillonartig von Seide eingefaßt, die Fotografie des Lenbachschen Portraits von Richard Wagner. Der Wagner-Schwärmer kann also immer den Meister am Halse tragen, ohne daß (der Uneingeweihte) dessen gewahr würde. Es gibt auch einen Siegfriedhut. Und die moussierenden Rheinweine, welche in der Wagner-Restauration verschänkt werden, führen die Namen Rheingold und Richard Wagner.

Paul Lindau, geboren am 3. Juni 1839 in Magdeburg, gestorben am 31. Januar 1919 in Berlin. Schriftsteller, Journalist, Herausgeber der kritischen Wochenschrift Die Gegenwart und Theaterleiter. Hellmut Kotschenreuther schreibt in seiner ausführlichen Kommentierung und Würdigung: „Als Paul Lindau im August 1876 seine Reise nach Bayreuth antrat, war er noch – und nicht nur in der Gegenwart – eine Instanz, die selbst ein Jahrhundertgenie vom Range Wagners das Fürchten und die Wagnerianer das Ärgern lehren konnte. Er hatte seinen Spaß daran. Mit ihm seine Zeitgenossen, sofern sie nicht gerade zu den unterwürfigsten Bewunderern des Ring-Meisters gehörten.“

Hellmut Kotschenreuther, geboren 1926 in Nürnberg, gestorben 2009 in Berlin. Komponist, Musikschriftsteller, Musikredakteur. Über Jahrzehnte berichtete er in seinen Kritiken im Tagesspiegel den Berlinern, was sich auf den Theaterbühnen und in den Konzertsälen der Stadt ereignete. Nach der Arbeit, wenn die Kritiken geschrieben waren, kehrte er gern im Diener ein. Dort entstand auch die Idee zu dem Lindau-Buch.