Tibor Déry
Fröhliches Begräbnis
Erzählungen.
Aus dem Ungarischen von Hans Skirecki.
188 Seiten, engl. Broschur, Fadenheftung, 16,40 Euro.
ISBN 978 3 92181071 2
Diese seit Jahren erste deutsche Ausgabe von Tibor Dérys kleiner Prosa schlägt einen Bogen über vierzig Jahre: vom hintergründigen Porträt eines feinen alten Herrn Mitte der dreißiger Jahre über die „Tauwetter“-Geschichte Fröhliches Begräbnis von 1955 und die grotesk-mythologischen Capriccios von 1965/66, Abrechnungen mit der „neuen Klasse“, bis zu den bitteren satirischen Erzählungen Auf dem Rücken der Möwe und Die abenteuerliche Reise des Dr. Nikodemus aus den siebziger Jahren, die auch in Ungarn zu Lebzeiten des Autors nur in Samisdat-Publikationen veröffentlicht werden konnten und jetzt zum ersten Mal übersetzt wurden. Sie handeln „vom Niveauverlust der Menschenseele, der die Epoche kennzeichnet und uns immer noch bedroht“.
„Armer Alter“, sagte der Basilisk, mit dem Feuerhaken die lange, faltige Zunge des Kranken beiseite schieben, „bei der Nachricht von seiner Pensionierung hat ihn der Schlag getroffen. Ach ja, sie ertragen die Untätigkeit nicht.“
„Und fürchten Sie nicht, aufgefressen zu werden?“ fragte ich besorgt. Gerade in diesem Augenblick biß ein großer, gepanzerter Waran einige Schritte von uns seinem Pfleger, einem kleinen Teju, den Kopf ab. Ein ganz gewöhnlicher Betriebsunfall vermutlich, denn ehe ich mich besann, kam schon mit einem Eimer Wasser und einem Wischlappen das Personal, und im nächsten Augenblick war, so unglaublich es klingen mag, die Leiche beseitigt.
„Die Macht der Gewohnheit“, sagte der Basilisk mit einem nachdenklichen Blick auf den Unfallort. „Ob ich mich fürchte? Man kann nicht ewig leben. Und ich fresse auch, mein Herr, ich werde nicht nur gefressen.“
Tibor Déry, geboren am 18. Oktober 1894 in Budapest, gestorben am 18. August 1977 ebenda, stammte aus dem jüdischen Bürgertum Budapests, war 1918 Parteigänger der Räterepublik und lebte seit 1919 im Exil in Österreich, Frankreich und Deutschland. 1934 kehrte er ins Horthy-Ungarn zurück. In der Zeit bis zum Krieg entstand sein großes Werk Der unvollendete Satz, das er erst 1947 veröffentlichen konnte. 1953 wurde Déry im Zuge der antisemitischen „Säuberung“ der ungarischen Literatur aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen; 1956 war er einer der Wortführer des Aufstands und wurde deshalb 1957 zu neun Jahren Haft verurteilt, jedoch 1960 freigelassen.
Mit seiner literarischen Autobiographie Kein Urteil (1969) und seiner satirisch-melancholischen Kleinen Prosa wurde Déry in den späten sechziger Jahren zum kritischen Chronisten der bleiernen Verhältnisse — schließlich auch in Ungarn gedruckt und anerkannt als „größter Menschendarsteller seiner Zeit“ (Georg Lukács).