Auburtin, Victor - Sand und SachsenVictor Auburtin
Sand und Sachsen
Ein Sommerbilderbüchlein von Ost- und Nordsee in Worten.
Ausgewählt und mit einem Vorwort von Peter Moses-Krause.
Mit Zeichnungen von Wolfgang Würfel.
64 Seiten, engl. Broschur, Fadenheftung, 8,40 Euro.
ISBN 978 3 93110918 9

„Er sehnt sich“, mokierte sich Kurt Tucholsky über die Gründe für Auburtins Reiselust. Das hätte er ebenso missverständlich auch über dessen Idol Heinrich Heine sagen können. Beide sehnten sich nach einem anderen Horizont als dem Berlins und der Berliner (Preußen, Deutschen): „etwas besseres als den Tod findest du überall“ – und sei es im Sommer an der Ost- oder Nordsee, auf „Heines Insel“ Norderney oder in Swinemünde, wo „Berlin badet“? Anlass jedenfalls für ein paar von Auburtins schönsten Sommerferien-Feuilletons aus den Jahren unmittelbar vor und nach dem ersten Weltkrieg: nachdenkliche, manchmal ironische Beobachtungen des scheinbar Nebensächlichen und des Geisteszustands seiner Zeitgenossen; unterhaltsame Lektüre für Eisenbahnfahrten, Strandcafés und Pensionszimmer an Regentagen …

„Das Meer ist süß“, flüsterte sie einmal nach dem andern. Vergebens versuchte ich, ihr diesen naturwissenschaftlichen Irrtum auszureden. „Das Meer ist nicht süß“, sagte ich, „es ist salzig. Im Gegenteil ist unsere Spree süß, wovon Sie sich leicht überzeugen könnten, wenn Sie einmal in der Nähe der Jannowitzbrücke kosten wollten.“
Es half alles nichts: die Dame blickte entzückt und blieb dabei, daß das Meer süß sei.

Mitten auf der Fahrt fing das Schiff an zu schaukeln, und der Dame wurde übel. „Das kommt von den Süßigkeiten“, murmelte ich und holte ihr einen Emaileimer.

Victor Auburtin, Journalist und Feuilletonist, passionierter „Tourist“, Katzenliebhaber, geboren am 5. September 1870 in Berlin, „Tod in Rom“ am
28. Juni 1928.
Der Enkel von erzroyalistischen und stockkonservativen katholischen Emigranten aus dem (zu liberalen) Frankreich des Bürgerkönigs Louis Philippe war au contraire ein liberaler Europäer, fühlte sich als Angehöriger zweier Kulturen, der französischen und der deutschen, war Republikaner und Zivilist, abhold Nationalismus und Militarismus. Sein französischer Bewunderer Marcel Ray, einer der großen politischen Journalisten zwischen den Kriegen, nannte Auburtin lakonisch einen „Dichter, Bürger und Europäer“.
Französisches Gymnasium in Berlin, Studium der dt. Philologie und der Kunstgeschichte in Berlin, Bonn und Tübingen. Nach literarischen Anfängen im anti-wilhelminischen Simplicissimus Albert Langens war Auburtin seit 1911 Redakteur und Auslandskorrespondent (in Paris am Vorabend des ersten Weltkriegs, in Bern, Madrid und Rom) bei Theodor Wolffs legendärem Berliner Tageblatt. Seine Causerien – „unterm Strich“ auf Seite 3, jeden dritten Tag – wurden in den 1920er Jahren Vorbild für das ganze literarisch-journalistische Genre Feuilleton.
„Ganz Berlin“ (jedenfalls das liberale und gebildete) las ihn, und seine Feuilletons wurden in der deutschsprachigen Presse von Aachen bis Prag nachgedruckt; Kurt Tucholsky und Kurt Pinthus kritisierten und verehrten ihn, Tucholsky nannte ihn in einem Atemzug mit Theodor Fontane und Arthur Eloesser.