Victor Auburtin
Herr Brie
Geschichten von Katzen und anderen.
Ausgewählt und mit einem Vorwort von Peter Moses-Krause.
Mit Zeichnungen von Théophile-Alexandre Steinlen.
72 Seiten, engl. Broschur, Fadenheftung, 8,40 Euro.
ISBN 978 3 93110906 6
Herr Brie war der Name von Victor Auburtins Lieblingskater. Aburtin selbst hing offenbar der altmodischen Vorstellung an, dass man seine innigsten Gefühle (für Katzen wie für Frauen) nicht auf den (literarischen) Markt trägt. So hat er zwar einige Causerien, darunter höchst amüsante, über Katzen geschrieben, aber es sind doch nie die im katzen- und literaturfreundlichen juste-milieu beliebten feinsinnigen Idyllen, und unter der Hand immer eher Parabeln über den menschlichen Geisteszustand. Deshalb findet der Leser in diesem Bändchen auch Geschichten, in denen man zwar den Katzengeist des Autors spürt, in denen Katzen aber nur zufällig oder gar nicht vorkommen.
Immerhin möchte ich Sie auf eine Merkwürdigkeit des französischen Geländes aufmerksam machen, nämlich auf die Katzen. Beachten Sie gütigst, daß vor jedem Hause eine Katze sitzt. Und achten Sie ferner freundlichst darauf, daß sonderbarerweise die Katzen immer größer werden, je mehr wir uns Paris nähern. Am größten sind sie in Paris selbst, auf dem linken Seineufer bei den Antiquaren, wo das Herz des Landes Frankreich ist. Dort sind die Katzen so groß wie mittelkräftige Präriebüffel, und sie sitzen auf den in Leder gebundenen Werken Montaignes und schlafen den ganzen Tag. Und ich möchte persönlich hinzufügen: wenn jene Lehre von der Seelenwanderung recht hat, so möchte ich nach meinem gottgefälligen Tode Katze bei einem Pariser Antiquar werden auf dem linken Seineufer in Paris.
Victor Auburtin, Journalist und Feuilletonist, passionierter „Tourist“, Katzenliebhaber, geboren am 5. September 1870 in Berlin, „Tod in Rom“ am
28. Juni 1928.
Der Enkel von erzroyalistischen und stockkonservativen katholischen Emigranten aus dem (zu liberalen) Frankreich des Bürgerkönigs Louis Philippe war au contraire ein liberaler Europäer, fühlte sich als Angehöriger zweier Kulturen, der französischen und der deutschen, war Republikaner und Zivilist, abhold Nationalismus und Militarismus. Sein französischer Bewunderer Marcel Ray, einer der großen politischen Journalisten zwischen den Kriegen, nannte Auburtin lakonisch einen „Dichter, Bürger und Europäer“.
Französisches Gymnasium in Berlin, Studium der dt. Philologie und der Kunstgeschichte in Berlin, Bonn und Tübingen. Nach literarischen Anfängen im anti-wilhelminischen Simplicissimus Albert Langens war Auburtin seit 1911 Redakteur und Auslandskorrespondent (in Paris am Vorabend des ersten Weltkriegs, in Bern, Madrid und Rom) bei Theodor Wolffs legendärem Berliner Tageblatt. Seine Causerien – „unterm Strich“ auf Seite 3, jeden dritten Tag – wurden in den 1920er Jahren Vorbild für das ganze literarisch-journalistische Genre Feuilleton.
„Ganz Berlin“ (jedenfalls das liberale und gebildete) las ihn, und seine Feuilletons wurden in der deutschsprachigen Presse von Aachen bis Prag nachgedruckt; Kurt Tucholsky und Kurt Pinthus kritisierten und verehrten ihn, Tucholsky nannte ihn in einem Atemzug mit Theodor Fontane und Arthur Eloesser.