Auburtin, Victor - Die OnyxschaleVictor Auburtin
Die Onyxschale und Die goldene Kette
Und andere kleine Prosa aus dem Simplicissimus bis 1911.
Herausgegeben von Peter Moses-Krause.
Werkausgabe in Einzelbänden, zweiter Band.
248 Seiten, gebunden (Pappband, Fadenheftung), 18,40 Euro.
ISBN 978 3 92181025 5

Dieser zweite Band der Werkausgabe enthält Victor Auburtins frühe literarische Arbeiten: die Novellensammlung Die goldene Kette von 1910 und die Feuilletonsammlung Die Onyxschale von 1911, beide bei Albert Langen in München erschienen und jetzt erstmals wieder vollständig veröffentlicht; sowie die weitere Kleine Prosa im Simplicissimus der Jahre 1907 bis 1911, die hier unter dem Titel „Eine Viertelstunde Wahrheit“ zusammengefasst ist. Im Simplicissimus bis Ende 1910 war Auburtin ein satirischer Moralist in der novellistischen Tradition des 19. Jahrhunderts. Er schrieb gegen die „Feinde“, die der Simpl benannt hatte: Dummheit, Misanthropie, Prüderie und Frömmelei; er machte sich das Simpl-Selbstverständnis „die bittern Narren sind die guten Narren“ zu eigen wie Strindbergs Gründungs-Credo „große Maße an kleine Dinge anlegen“.
Die Onyxschale ist ganz und gar ein Werk aus dem Jahr 1911: der satirische wird zum melancholischen Moralisten. Die zeitgenössische Kritik lobte. Mit einer Ausnahme: Kurt Tucholsky. Tucho schrieb 1914 in der Schaubühne eine merkwürdig ambivalente Rezension unter dem schnöden Titel „Der beleidigte Korrespondent“:

Wenn man Herrn Victor Auburtin (…) in Frieden ließe, wenn man ihm eine der ägäischen Inseln zum Wohnsitz anwiese – wer weiß ob er eine Zeile schriebe. (…) Am allerwenigsten so entzückend-sehnsüchtige Angelegenheiten, wie in den beiden Bändchen Die goldene Kette und Die Onyxschale. Es ist wirklich erstaunlich, zu welch aufreizend hübschen Dingen einen das Mißbehagen treiben kann. Denn das ist der Grundzug, der die zwei Büchelchen durchzieht: traurige Unzufriedenheit. (…)
Die Kontemplation grenzt oft an Passivität; aber in der Goldenen Kette guckt Auburtin so nett und unbeteiligt auf das Gehudel unter ihm, daß mans fast vergißt. Diese kleinen Geschichten sind in einem merkwürdigen Stil verfaßt, der manchmal ein wenig an Thomas Mann erinnert. Dieser Stil ist am besten dann, wenn Auburtin es nicht mit dem Humor hat, sondern wenn er in Moll feststellt, wie es auf der Welt zugeht. (…) Die Onyxschale ist eigentlich noch schöner. Es sind da doch Stücke, die nicht der Korrespondent, sondern der Dichter geschrieben hat, ganz feine Sachen, mit einem wiegenden, ziehenden Rhythmus. (…) Lest diese Onyxschale und ihr werdet ein paar schöne Stunden haben und das dünne kleine Buch immer wieder vornehmen. Ihr werdet ihn dann ordentlich vor euch sehen, Herrn Victor Auburtin, wie er – mit der Abneigung gegen große Gesten – an der Seite einer Geliebten durchs Bois geht, sehr sanft, sehr bewußt, sehr still. Nur eben kommt man mit der Stille nicht allzu weit, in Deutschland. Und wenn er auch hundertmal sagt: der Schritt ist mehr als das Ziel, so wollen wir andern doch jung genug sein, uns ja nicht diese Moral anzueignen, die aus dem Stück canes familiares spricht.

(Die böse, tragische Pointe: zwanzig Jahre später, als er so alt war wie Auburtin 1914 und ihm der jugendlich-arrogante, ungerechte Optimismus längst vergangen war, im schwedischen Exil, notierte Tucholsky kommentarlos im Qu-Tagebuch für die qgelrunde Nuna eben dieses Feuilleton canes familiares.)

Victor Auburtin, Journalist und Feuilletonist, passionierter „Tourist“, Katzenliebhaber, geboren am 5. September 1870 in Berlin, „Tod in Rom“ am
28. Juni 1928.
Der Enkel von erzroyalistischen und stockkonservativen katholischen Emigranten aus dem (zu liberalen) Frankreich des Bürgerkönigs Louis Philippe war au contraire ein liberaler Europäer, fühlte sich als Angehöriger zweier Kulturen, der französischen und der deutschen, war Republikaner und Zivilist, abhold Nationalismus und Militarismus. Sein französischer Bewunderer Marcel Ray, einer der großen politischen Journalisten zwischen den Kriegen, nannte Auburtin lakonisch einen „Dichter, Bürger und Europäer“.
Französisches Gymnasium in Berlin, Studium der dt. Philologie und der Kunstgeschichte in Berlin, Bonn und Tübingen. Nach literarischen Anfängen im anti-wilhelminischen Simplicissimus Albert Langens war Auburtin seit 1911 Redakteur und Auslandskorrespondent (in Paris am Vorabend des ersten Weltkriegs, in Bern, Madrid und Rom) bei Theodor Wolffs legendärem Berliner Tageblatt. Seine Causerien – „unterm Strich“ auf Seite 3, jeden dritten Tag – wurden in den 1920er Jahren Vorbild für das ganze literarisch-journalistische Genre Feuilleton.
„Ganz Berlin“ (jedenfalls das liberale und gebildete) las ihn, und seine Feuilletons wurden in der deutschsprachigen Presse von Aachen bis Prag nachgedruckt; Kurt Tucholsky und Kurt Pinthus kritisierten und verehrten ihn, Tucholsky nannte ihn in einem Atemzug mit Theodor Fontane und Arthur Eloesser.